Von der Seifenblase zum olympischen Dach

von Rolf Wirz

Wer hat in seiner Jugend nicht gerne mit Seifenblasen gespielt? Wie schön schillerten doch die Farben dieser Kugeln - so schön wie die wundersamsten Blasengebilde der Clowns und Gaukler. Und bald steht eine Frage im Raum: Was ist hier möglich? Welche Gesetze bestimmen diese Formen?

Wenn wir durch Experimente mehr zu dieser Frage erfahren wollen, stoßen wir bald an die Grenzen der Machbarkeit. Weiter hilft uns nur eine mathematische Beschreibung, ein "mathematisches Modell", das uns die Berechnung möglicher Formen erlaubt. Ebenso kompliziert verhält es sich bei den Seifenhäuten, welche entstehen, wenn man phantasievoll geformte Drahtschlaufen in eine Seifenlösung eintaucht und wieder herauszieht. Die Physik mit der Theorie der Oberflächenspannung bietet die Grundlage für eine mathematische Beschreibung: Die Spannung in der Seifenhaut erzwingt eine Flächenform mit minimalem Inhalt, d.h. die potentielle Energie in der Fläche wird minimal. Eine etwas größer gedachte Seifenhautfläche würde durch die Spannung sofort auf minimale Größe zusammengezogen. Mathematisch bedeutet das auch, dass die sogenannte "mittlere Krümmung" in der Fläche einer Seifenhaut überall null ist. Aus dieser Feststellung lassen sich dann theoretische Erkenntnisse ableiten, wozu allerdings viel höhere Mathematik notwendig ist: Differentialgeometrie, Differentialgleichungen, Variationsrechnung, usw.. Die darauf abgestützten Berechnungen führen zu computergenerierten Flächenformen, die vorher noch niemand in der Wirklichkeit gesehen hat. Allerdings: Man findet so auch die schon bekannten Flächen, was nur bestätigt, dass das verwendete Modell richtig ist. Es darf damit zur Vorhersage bisher unbekannter Formen gebraucht werden.

Für die lebendige Realität: Minimalflächen sind praktisch nur auf Zug beansprucht. Sie haben minimales Gewicht, was minimaler Materialaufwand bedeutet. "Mittlere Krümmung null" in einem Punkt ist Ausdruck von Bewegung in der Fläche in eine Richtung und Gegenbewegung in der Fläche in die dazu orthogonale Richtung. Daher wirken solche Gebilde ästhetisch. Architekt Frei Otto hat auf Grund solcher Erkenntnisse unter anderem Staunen erregende Werke geschaffen, wie das Deutsche Pavillon an der Weltausstellung 1967 in Montreal, die olympische Schwimmhalle in München 1972 sowie die dortigen Dächer des Olympiastadions und des olympischen Sportfeldes.